Objekt des Monats
Februar 2023
Heinrich von Kleist und der jüdische Geschichtsschreiber
„Prinz Friedrich von Homburg oder die Schlacht bei Fehrbellin“ ist Heinrich von Kleists letztes Drama. Obwohl er die Uraufführung nicht mehr miterlebte, stieß dieses Werk (wie auch seine anderen) bei den Zeitgenossen auf wenig Resonanz bzw. auf Auflehnung. Vor allem die enthaltene Todesfurchtszene des Prinzen (3. Akt, 5. Aufzug) galt lange als nicht bühnentauglich, da sie nicht ins männliche Soldatenbild Preußens passte. Erst zehn Jahre später, am 03. Oktober 1821, wurde eine zensierte Version des Stückes im Wiener Burgtheater unter der Regie von Josef Schreyvogel uraufgeführt – um bereits nach vier Wiederholungen auf Betreiben des Erzherzogs Karl abgesetzt zu werden.
Wann genau Heinrich von Kleist mit der Arbeit an „Prinz Friedrich von Homburg“ begonnen hatte, ist nicht überliefert. Dem Eintrag im Entleihbuch der Königlichen Bibliothek Dresden zufolge hatte er vom 09. Januar bis zum 01. März 1809 das Geschichtsbuch des preußischen Feldpredigers Karl Heinrich Krause „Mein Vaterland unter den hohenzollerischen Regenten“ entliehen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt dürfte Kleist mit den Recherchen für sein Drama begonnen haben (vgl. Hamacher 2013: 80). Auch das Objekt des Monats ist Teil des Entstehungskontexts von Kleists letztem Drama:
Johann Friderich Cotta (Hg.): Des Fuertrefflichen Juedischen Geschicht-Schreibers Flavii Josephi saemtliche Wercke. Tübingen: Cotta 1736.
Unmittelbar zuvor, vom 19. Dezember 1808 bis 02. Januar 1809 hatte Kleist „Josephi Werke“ aus der Königlichen Bibliothek Dresden in einer Ausgabe von 1736 entliehen (vgl. Hamacher: 81).
Der Bericht des jüdischen Geschichtsschreibers Flavius Josephus (37-110 n. Chr.) fasst den Jüdischen Krieg und die Zerstörung Jerusalems durch Titus (39-81 n. Chr., Sohn von Kaiser Vespasian) zusammen. Da die Darstellung der Befehlsverweigerung mehrerer römischer Soldaten beim Kampf um die Eroberung Jerusalems sowie die Strafrede Titus‘ an seine Soldaten, Parallelen zu Kleists Behandlung des Normkonflikts aufweist, könnte es sich bei Titus um ein historisches Substrat des Kurfürsten Friedrich Wilhelm in Kleists Drama handeln (vgl. ebd.).
Darüber hinaus beschäftigt sich Kleist wenig mit dem Werk des Jüdischen Geschichtsschreibers, was gleichermaßen bezeichnend ist für sein Gesamtwerk: In seinen Werken und Briefen hat sich Kleist an keiner Stelle explizit über das Judentum bzw. über Jüdinnen und Juden geäußert. Auch bedient er in seinen Werken keine antisemitischen Klischees, sondern zitiert positiv Gotthold Ephraim Lessings „Nathan der Weise“. Dennoch nimmt Kleist an Treffen der antisemitischen „Deutschen Tischgesellschaft“ teil und somit bleibt Kleists Verhältnis zum Judentum bestenfalls ambivalent.
Auch das Literaturhaus Heilbronn hat sich dieser Frage angenommen und den renommierten Kleist-Forscher Dr. Ingo Breuer am 22. September 2021 eingeladen, im Rahmen der Veranstaltungsreihe „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ über „Kleist und das Judentum seiner Zeit“ zu sprechen.
Das Kleist-Archiv Semdner präsentiert im Februar eine zeitgenössische Ausgabe eben jenes Werkes, das auch Heinrich von Kleist für sein letztes Drama zu Recherchezwecken nutzte, und das somit Teil der Entstehung- und Quellengeschichte der Kleist-Forschung ist.
Weiterführende Literatur:
Cotta, Johann Friderich (Hg.): Des Fuertrefflichen Juedischen Geschicht-Schreibers Flavii Josephi Saemtliche Wercke. Als Zwanzig Buecher von den alten Juedischen Geschichten, Eines von seinem Leben, Zwey von dem alten Herkommen der Juden wider Apionem Grammaticum/ und Eines von dem Maertyrer Tode der Maccabaeer, Nebst einem Uberbleibsel. Der Rede Josephi an die Griechen von dem Ort, wo sich die abgeschiedene Seelen aufhalten, und der Auferstehung der Todten. Hierzu kommen ferner dessen Sieben Buecher von dem Krieg der Juden mit den Roemern/ und Egesippi Fuenff Buecher von der Zerstoerung der Stadt Jerusalem. Tübingen: Cotta 1736.
Hamacher, Bernd: „Prinz Friedrich von Homburg“. In: Breuer, Ingo (Hg.): Kleist Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart: Metzler 2013. S.80-89.
„Michael Kohlhaas“ und acht weitere Werke von und zu Kleist in Brailleschrift

V. l. n. r.: „Penthesilea“, „Der zerbrochene Krug“, „Michael Kohlhaas“, „Heinrich von Kleist“ von Peter Staengle in 2 Bänden, „Die Marquise von O.“, „Prinz Friedrich von Homburg“, „Das Bettelweib von Locarno“. Unten: „Amphitryon“

"Amphitryon" von Heinrich von Kleist in Brailleschrift
Das Kleist-Archiv Sembdner ist Heilbronns kulturelles Kleist-Gedächtnis. Mehr als 10 000 Schriftstücke, Videos, Filme, Zeitungsausschnitte und Kunstobjekte zu Kleist und seinen Werken sind darin erfasst und erhalten.
Die meisten dieser Schriftstücke sind in der gängigen Schwarzschrift verfasst und gedruckt, d. h. schwarze Schrift auf weißem Grund. Doch nicht alle sind in der Lage, diese Schrift zu lesen. Menschen mit einer (starken) Sehbeeinträchtigung können Schwarzschrift oft nur sehr schwer oder gar nicht lesen. Abhilfe schafft hier die von Louis Braille (1809-1852) erfundene Brailleschrift; eine von hinten in das Papier gepresste Blindenschrift, die mit den Fingerspitzen ertastet und dadurch gelesen werden kann.
Anlässlich des 4. Januars – dem seit 2001 gefeierten „Welt-Braille-Tag“ – sowie des 23. Januars – dem internationalen Tag der Handschrift – stellt das Kleist-Archiv Sembdner gleich mehrere Objekte vor:
Sieben in Brailleschrift gedruckte Werke von Kleist – „Die Marquise von O.“, „Michael Kohlhaas“, „Der zerbrochene Krug“, „Amphitryon“, „Penthesilea“, „Prinz Friedrich von Homburg“ und „Das Bettelweib von Locarno“ – sowie die Monographie „Heinrich von Kleist“ von Peter Staengle – sind im Kleist-Archiv Sembdner erfasst.
Die Herstellung solcher Bücher ist aufwendig. In Deutschland werden von fünf Verlagen jährlich etwa 500 Bücher in Brailleschrift übertragen und gedruckt. (Zum Vergleich: Mehrere zehntausend Titel in Schwarzschrift erscheinen jährlich auf dem deutschen Buchmarkt.)
Darunter finden sich auch Kleists Novellen und Dramen, die so für Menschen mit Sehbeeinträchtigung zugänglich werden.
Heinrich Zschokke: Der andere zerbrochene Krug

Zschokke, Johann Heinrich Daniel: Der zerbrochene Krug. In: Ders.: Ausgewählte Novellen und Dichtungen. Dritter Band. Aarau: Sauerländer 1841.

„Hat Kleist seinen ‚Krug‘ bei Zschokke kopiert?“
Dies titelte das Schweizer Tagblatt am 22. Februar 2022, als in Aarau Heinrich von Kleists Lustspiel „Der zerbrochne Krug“ vom Theater Kanton Zürich unter der Regie von Elias Perrig aufgeführt wurde.
Der Artikel verweist auf den bis zu seinem Tod 1848 in Aarau lebenden Schriftsteller, Publizisten und Politiker Johann Heinrich Daniel Zschokke, der in Kleists Leben eine kurze, aber nicht unwichtige Rolle spielte. Obwohl Zschokke zu den meistgelesenen und einflussreichsten Autoren des 19. Jahrhunderts zählt, ist seine Erzählung „Der zerbrochene Krug“ weit weniger bekannt, als Kleists Komödie „Der zerbrochne Krug“. Obwohl sie zudem erst 1813 veröffentlicht wurde – zwei Jahre nach Kleists Tod – haben beide Werke einen gemeinsamen Ursprung:
Im Frühjahr 1802 besuchten Heinrich von Kleist, sein Dichterfreund Ludwig Wieland und der Verleger Heinrich Geßner Zschokke in seiner damaligen Wohnung in Bern. In dessen (Wohn-)Zimmer hing ein Abdruck des Kupferstichs „Le juge ou la cruche cassée“ des französischen Künstlers Jean Jacques Le Veau (1729-1785). Dieser zeigt, so Zschokke, ein trauriges Liebesprächen, eine keifende Mutter mit einem zerbrochenen Majolika-Krug, und einen großnasigen Richter.
Der Kupferstich soll schließlich zu einem Wettstreit unter Freunden geführt haben. Zschokke selbst erinnert sich in der Vorrede seiner Erzählung:
„Die ausdrucksvolle Zeichnung belustigte und verlockte zu mancherlei Deutungen des Inhalts. Im Scherz gelobten die Drei, jeder wolle seine eigenthümliche Ansicht schriftlich ausführen. Ludwig Wieland verhieß eine Satire; Heinrich von Kleist entwarf sein Lustspiel, und der Verfasser gegenwärtiger Erzählung das, was hier gegeben wird“ (Zschokke: 231).
Ob dieser prosaisch anmutende Dichterwettstreit, den Kleist nach Zschokkes Einschätzung letztlich gewann, tatsächlich Entstehungsmoment von Kleists berühmtem Lustspiel war, darf jedoch angezweifelt werden (vgl. Roland Reuß: 421). Einerseits fügt Zschokke seine Vorrede erst 1825, also zwölf Jahre nach der Ersterscheinung, seiner Erzählung hinzu und übergeht dabei völlig Heinrich Geßner. Kleist selbst spricht in der Vorrede zu seinem Lustspiel, die es nur in der handschriftlich überlieferten Fassung des Stücks gibt, lediglich von einem Kupferstich, den er in der Schweiz gesehen hatte, als eigentliche Inspiration und erwähnt dabei weder Zschokke noch Wieland oder Geßner.
Zum Jahresende hin verweisen wir auf diesen anderen „Zerbrochenen Krug“ von einem Weggefährten Kleists. Die Erzählung „Der zerbrochene Krug“ von Johann Heinrich Daniel Zschokke ist Teil der im Kleist-Archiv Sembdner archivierten 5. Original-Auflage ausgewählter Novellen und Dichtungen von Zschokke, erschienen 1841 in Aarau.
Johann Heinrich Daniel Zschokke wurde 1771 in Magdeburg geboren. Er studierte Theologie und Philosophie in Frankfurt an der Oder. Nach ausgedehnten Reisen durch Deutschland, Frankreich und in die Schweiz ließ er sich 1798 in Aarau nieder. Zschokke übte dort verschiedene Ämter für die Helvetische Regierung aus. Sein umfangreiches schriftstellerisches Werk umfasst auch eine Vielzahl von Veröffentlichungen zu politischen, historischen, pädagogischen und naturwissenschaftlichen Themen. Zschokke starb 1848 in Aarau und gilt als einer der meistgelesenen und einflussreichsten deutschsprachigen Autoren des 19. Jahrhunderts.
Weiterführende Literatur:
Bart, Ilse-Marie u. Seeba, Hinrich C. (Hg.): Heinrich von Kleist. Dramen 1802-1807. Die Familie Ghonorez, Die Familie Schroffenstein, Robert Guiskard, Der zerbrochne Krug, Amphitryon. Frankfurt a. M.: Deutscher Klassiker Verlag 1991. (=Heinrich von Kleist. Sämtliche Werke und Briefe. Bd.1).
Breuer, Ingo (Hg.): Kleist-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Sonderausgabe. Stuttgart, Weimar: Metzler 2013.
Dunz-Wolff, Günter (Hg.): Heinrich von Kleist. Der zerbrochne Krug, ein Lustspiel. Textkritische Edition der Handschrift. Berlin: J. B. Metzler 2020. (=Sonderband des Kleist-Jahrbuchs 2020).
Reuß, Roland (Hg.): Der zerbrochne Krug. Band I/3. Der zerbrochne Krug <Handschrift>. (=H. v. Kleist. Sämtliche Werke. Brandenburger Ausgabe).
https://www.tagblatt.ch/kultur/ohne-zschokke-kein-kleist-ld.2254770
Hanif Lehmann: „vor Kleists grab“
„Eine Viertelstunde verstand ich vor Kleists grab: doch was verstehe ich? – nichts –“ – Hanif Lehmann
Heinrich von Kleists Leben und Werk sind bekanntermaßen in vielerlei Hinsicht voller Rätsel. Es beginnt schon mit dem genauen Geburtsdatum: Nach eigenen Angaben wird Kleist am 10. Oktober 1777 in Frankfurt (Oder) geboren. Laut Eintrag im Kirchenbuch ist sein Geburtstag jedoch der 18. Oktober. Nach einem rastlosen Leben voller Auf- und Abbrüche nimmt er sich mit 34 Jahren am Kleinen Wannsee in Berlin gemeinsam mit der an Krebs erkrankten Henriette Vogel, mit der er seit ein paar Monaten in enger Verbindung steht, das Leben. Heute, am 21. November, jährt sich sein Todestag zum 211ten Mal.
Seinen Zeitgenossen gilt Kleist als Sonderling, als literarischer Außenseiter, als Unzeitgemäßer - eine Rolle, die er konsequenter Weise bis in den Tod ausfüllt: Denn der sogenannte Doppelselbstmord Kleists schließt eine Beisetzung innerhalb der Friedhofsmauern aus, weshalb neben Leben und Werk des Ruhelosen und Vormodernen vor der Moderne bis heute auch sein Tod und seine letzte Ruhestätte am Kleinen Wannsee im Fokus des Interesses stehen.
Und kaum verwunderlich ist überdies, dass auch Kleists Grab eine wechselvolle Geschichte hat. So ist bis heute u. a. nicht abschließend geklärt, ob das Grab nachträglich versetzt wurde. Die viele Jahre stark verwilderte Grabanlage wurde 2011 zum 200sten Todesjahr samt Grabstein neugestaltet.
Die Kleist-Rezeption ist breit gefächert. Ob in Literatur, auf Theaterbühnen, im Film, in der Musik oder in der Bildenden Kunst, um nur einige Bereiche zu nennen: Leben und Werk faszinieren genauso wie Kleists „letzte Inszenierung“ (Günter Blamberger) am Kleinen Wannsee. So etwa den Grafiker und Maler Hanif Lehmann, der nicht nur eine Kaltnadelradierung von Kleists Grab anfertigte, sondern seine Eindrücke beim Besuch des Grabes auch in einem Gedicht festhielt.
Anlässlich Kleists 211. Todestag weisen wir im November auf diese Facette der Kleist-Rezeption hin.
Der in der ehemaligen DDR geborene Künstler Hanif Lehmann hat 2017 einen Zyklus von 9 Kaltnadelradierungen zu Berliner Dichtergräbern angefertigt, die von zum Teil eigenen Texten begleitet werden. Die hier gezeigte Kaltnadelradierung sowie das Gedicht zu Kleists Grab sind heute im Kleist-Archiv Sembdner archiviert.
Hanif Lehmann wurde 1971 in Rochlitz geboren. Von 1992 bis 1998 studierte er Malerei und Grafik. 1994 erschien sein erstes Grafikbuch; 1996 folgte das zweite im eigenen Verlag widukind-presse Dresden. Seit 1998 arbeitet Lehmann als freischaffender Künstler. Seine Arbeiten befinden sich u. a. in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, im Deutschen Literaturarchiv Marbach, im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, in der SLUB Dresden – und im Kleist-Archiv Sembdner.
Karl Hütter: „Das Vehmgericht des Mittelalters“ – Die Feme im Mittelalter
Die Femegerichte waren ein Organ der mittelalterlichen Strafjustiz, unter anderem auf dem Gebiet des heutigen Deutschland. Ihnen oblag auch die Umsetzung der Strafe. Der Begriff entwickelte sich im 13. Jahrhundert aus der veme, einer „Vereinigung oder ein Bund der zum gleichen Gericht gehörenden Freien“. Die Berechtigung zur Urteilssprechung wurde direkt vom König übertragen, dem die eigentliche Rechtssprechung oblag. Nicht immer wurden bei einem Femegericht die Todesstrafe ausgesprochen, auch eine finanzielle Schuldbegleichung konnte angestrebt werden.
In der Zeit um 1800 gewann mit der Romantik die Begeisterung für das europäische Mittelalter auch die mittelalterliche Gerichtsbarkeit an Aufmerksamkeit – so begannen beispielsweise die Brüder Grimm vor ihrer Sammeltätigkeit damit, sich mit der mittelalterlichen Rechtsprechung auseinanderzusetzen. Auch Heinrich von Kleist war fasziniert von dieser historischen Form des Rechts, auf welches er für sein „romantisches Schauspiel“, das Käthchen von Heilbronn (1808) zurückgriff. Es ist dabei nicht unwahrscheinlich, dass er auch auf Karl Hütters Überblick zum Femegericht aus dem Jahr 1793 zurückgriff.
Kupferstich von Napoleon Bonaparte – Kleist und Napoleon

Niemand hat den politischen, philosophischen und poetischen Diskurs der Zeit um 1800 wohl so beeinflusst wie Napoleon. Der Korse, dessen militärische und politische Laufbahn als Revolutionsgeneral begann und der am Höhepunkt seiner Macht beinahe ganz Europa beherrschte und umformte, polarisierte die damalige geistige Elite. Vor 1804 ist Napoleon noch nicht Nationalfeind der Deutschen, sondern „nur“ Revolutionsbeender oder innenpolitischer Despot. Görres bezeichnete ihn schon um 1800 als neuen „Augustus“, womit er durchaus Recht behielt, wie die Selbstkrönung zum Konsul auf Lebenszeit im Jahr 1804 zeigte.
Gerade die Romantiker sahen anfangs stärker die positiven Aspekte, die mit Napoleon kamen. Napoleons Büste zierte die Arbeitszimmer Ludwig Tiecks sowie der Brüder Schlegel. In Preußen wird deutlich schneller Kritik an Napoleon geübt als in den Rheinbundstaaten. So hält der Philosoph Johann Gottlieb Fichte im Jahr 1808 seine Reden an die deutsche Nation, in denen er zum Widerstand gegen Napoleon und die französischen Besatzer aufruft.
Exemplarisch in seinem Verhältnis zu Napoleon ist auch Heinrich von Kleist. Während große Dichter wie Wieland oder Goethe offen ihre Bewunderung für die Ausnahmeerscheinung Napoleon zeigen (Napoleon war umgekehrt ein großer Verehrer des Dichters der Leiden des jungen Werther), versucht Kleist agitatorisch gegen die französische Besatzung unter Napoleon vorzugehen. Im Jahr 1809 entsteht sowohl sein Katechismus der Deutschen als auch das Drama „Die Hermannschlacht“, in dem er zwar einerseits gegen die Römer (im Umkehrschluss auf die romanischen Franzosen) Stimmung macht, andererseits aber die Mittel der Propaganda des schonungslos machiavellistisch agierenden Hermann offenlegt.
Am Ende erlebte Kleist den Wendepunkt der Herrschaft Napoleons mit dem gescheiterten Russlandfeldzug 1812 nicht mehr.
Weiterführende Literatur: Barbara Beßlich: Der deutsche Napoleon-Mythos. Literatur und Erinnerung 1800–1945. Darmstadt 2007.
Sieben Zeichnungen von Walter Maisak (1912-2002) zu Heinrich von Kleists Erzählung „Michael Kohlhaas“
Gastbeitrag von Petra Maisak
Petra Maisak, promovierte Kunsthistorikerin und Germanistin, war langjährige Leiterin des Goethehauses und der Kunstsammlungen am Frankfurter Goethe-Museum. Sie legte zahlreiche Publikationen zu Kunst und Literatur insbesondere des 18. und 19. Jahrhunderts vor. Als einzige Tochter des Künstlers Walter Maisak betreut sie dessen Nachlass im privaten Walter Maisak Archiv in Heilbronn.
Gleich im ersten Satz stößt Kleist zum verstörenden Kern seiner Erzählung vor, wenn er den Pferdehändler Kohlhaas einen „der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit“ nennt. Die grundlegende Problematik von Gerechtigkeit und Gewalt, die Kleists Werk durchzieht, bestimmt das Geschehen, das aus dem Machtmissbrauch der Herrschenden resultiert. Sein fanatisches Rechtsgefühl macht Kohlhaas, den geachteten Bürger und Familienvater, zum Rebellen und Mordbrenner, den eine schicksalhafte Verkettung unglückseligster Umstände aufs Schafott bringt. Die Geschichte spielt im 16. Jahrhundert, im aufrührerischen Zeitalter der Reformation und der Bauernkriege, in der Epoche Götz von Berlichingens und Martin Luthers, der sogar in die Handlung eingreift.
Vor dieser historischen Folie hat sich ein Vorstellungsbild von Michael Kohlhaas entwickelt, das ein Äquivalent in den kantigen, kernigen Gestalten von Lucas Cranach d. Ä. erhält. Von Cranach, dem Maler der Reformationszeit, stammt das ikonische Porträt Luthers als Junker Jörg, mit kämpferisch hochgerecktem Kinn, kurzem, eckigem Vollbart und sinnend in die Ferne gerichtetem Blick. Dieser Typus, kombiniert mit Szenen aus den Bauernkriegen, hat eine ganze Reihe von Kohlhaas-Darstellungen in der Kunst, auf der Bühne und im Film inspiriert: von Franz Stassens romantisierenden Illustrationen der Erzählung (Verlag G. Westermann, 1924) bis hin zu Volker Schlöndorffs Film „Michael Kohlhaas – der Rebell“ (1969). Letztlich gehört auch das Titelbild der Erzählung in der Wehrmachts-Ausgabe der Soldatenbücherei Nr. 39 dazu, das allerdings pseudo-historisch verkitscht wird.
Dagegen versucht Walter Maisak in seinen Zeichnungen die charakteristische Ikonographie des Michael Kohlhaas herauszukristallisieren, ohne die historisierende Komponente in den Vordergrund zu stellen. Die kleinen Darstellungen entstanden 1943, als Maisak als Kartenzeichner der Korpskartenstelle beim Festungskommandanten der Wehrmacht in Feodossija auf der Krim stationiert war; wenig später wurde die deutsche Besatzung von der Roten Armee vertrieben. Inmitten des realen Kriegs gewann die Erzählung eine neue Dimension, die den Zeichner zur Auseinandersetzung anregte. Die beiden Kopfstudien lassen sich als einfühlsames Psychogramm lesen, das den tiefen inneren Zwiespalt des Protagonisten zum Ausdruck bringt. Die Szene, die mit leichten, abstrahierenden Federstrichen den Pferdehändler Kohlhaas mit seiner Koppel vor dem Schlagbaum der hoch im Hintergrund aufragenden Tronkenburg zeigt, könnte als Titelbild der Erzählung gedacht sein. Sehr authentisch wirkt die winzige Skizze mit Kohlhaas unter einer Trauerweide, wie er melancholisch über sein unbegreifliches Schicksal nachzusinnen scheint. Die übrigen Skizzen – Kohlhaas greift zum Schwert, ein aufständischer Bauer zur Sense; ein Junker wird vom Volk bedroht– umspielen die Erzählung in lockerer Form.
Anlässlich einer Ausstellung zu seinem 85. Geburtstag in der Heilbronner Stadtbücherei überließ der Künstler die Zeichnungen 1997 dem Kleist-Archiv Sembdner als Schenkung.
Ergänzende Literatur:
Barthel, Wolfgang: Heinrich von Kleists „Michael Kohlhaas“ (1808-1810). Werden und Wirkung. Facetten. Bei Gelegenheit der Ausstellungseröffnung am 31. August 1993 in der Stadtbücherei Heilbronn. 1993
Maisak, Petra: Illustrationen zu Michael Kohlhaas von Walter Maisak, in: Heilbronner Kleist-Blätter, hrsg. vom Kleist-Archiv Sembdner, Heilbronn 1998, Heft 4, S. 61-71
Drei Briefe von Louise von Zenge an den Philosophen David Theodor Suabedissen
Briefe aus dem Umfeld um Heinrich von Kleist haben immer einen besonderen Wert, ob Sie nun an Kleist selbst gerichtet sind oder – wie die drei Briefe von Luise von Zenge, der Schwester von Kleists kurzzeitiger Verlobten, Wilhelmine von Zenge, an den Philosophen David Theodor Suabedissen (1773 – 1835) – nur indirekt mit dem Dichter zu tun haben. Im Kleist-Archiv Sembdner befinden sich die drei Briefe aus den Jahren 1814 bis 1828, die einigen Aufschluss über die den meisten recht unbekannte Luise geben. Sie hatte Ludwig Tieck für die ersten Kleist-Ausgaben (1821 und 1826) immerhin einige Informationen über den schon über zehn Jahre verstorbenen Kleist verschafft.
Wilhelmine (1780 – 1852) und Luise von Zenge (1782 – 1855) – von Wilhelmine auch „goldne Schwester“ genannt – stammen aus der Familie von Charlotte Margarete und August Wilhelm von Zenge. Letzterer diente als Generalmajor in Frankfurt an der Oder. Wilhelmine ist von 1800 bis Mai 1802 mit Kleist verlobt, der die Verlobung aber aus der Schweiz brieflich löst. Wilhelmine heiratete schon kurz danach den Philosophen und Nachfolger Kants in Königsberg, Wilhelm Traugott Krug (1770 – 1842). Luise blieb zeitlebens unverheiratet. Die eher private Dinge thematisierenden Briefe von Luise an Suabedissen erwähnen Kleist mit keiner Silbe – und zeigen damit, dass Kleist in den Jahren nach seinem Tod anscheinend ein Tabuthema war.
Das Kleist-Archiv Sembdner erwarb die Briefe im Winter 1996.
Weiterführende Literatur: Rüdiger Wartusch: Luise von Zenge und ihr Kreis. Drei Briefe an den Philosophen Suabedissen. In: Heilbronn Kleist-Blätter Nr. 3 (1997). S. 18–33.
Hans Bellmer: "Les Marionettes." Elf Radierungen nach Kleists Erzählung „Das Marionettentheater“
Die Mappe des Künstlers Hans Bellmer (1902-1975) mit elf Radierungen zu Kleists Erzählung „Das Marionettentheater“ zeigt keine bloßen Illustrationen des Textes. Der äußerst komplizierte und mit vielen poetologischen und philosophischen Anknüpfungspunkten versehene Text Kleists aus dem Jahr 1810 wird vielmehr zum Ausganspunkt für Bellmers eigene Gedanken zum menschlichen Körper und seiner surrealistischen Variation in Form von beispielsweise Demontage.
„Bellmers ‚Marionetten‘ verkörpern einen lebendigen Organismus, der nicht die tote, mechanisch funktionierende Gliederpuppe als solche, sondern ihre sensomotorische Mobilität zum Thema erhebt.“*
Bellmer hatte sich schon vor der Entstehung des Radierzyklus’ im Jahr 1969 intensiv mit Puppen und Marionetten auseinandergesetzt. Ein wichtiger theoretischer Anknüpfungspunkt war dabei für ihn E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Der Sandmann“ sowie Sigmund Freuds Studie über „Das Unheimliche“.
Die Mappe mit Bellmers Radierungen ist Eigentum der Kulturstiftung der Kreissparkasse Heilbronn und befindet sich als Dauerleihgabe im Kleist-Archiv Sembdner. Im Jahr 1999 war sie zuletzt im Rahmenprogramm der Heilbronner Tagung „Erotik und Sexualität im Werk Heinrich von Kleists“ in einer Ausstellung in der Kreissparkasse gezeigt.
Hans Bellmer zählt zu den Vertretern des phantastischen Realismus. Er hörte Anfang der 1930er Jahre Vorlesungen am Bauhaus, reiste danach aber nach Italien und Tunesien. 1933 gab er aus Ablehnung des Faschismus seine künstlerische Tätigkeit vorübergehend auf. Stattdessen konstruierte Bellmer erotische Puppenplastiken. Photographien davon wurden in der französischen Surrealisten-Zeitschrift „Le Minotaure“ veröffentlicht und seitdem gehörte Bellmer den Pariser Surrealisten an. Er fertigte von nun an vor allem Zeichnungen im individuellen figurativen Stil. In der bespielte Bellmer seine ersten Einzelausstellungen und internationalen Gruppenschauen mit den Surrealisten und wurde als 'Dürer des Surrealismus' bezeichnet. Sein Spätstil zeigt filigrane Linien und die Erotik vervielfältigt sich durch die Verschmelzung von Todessehnsucht und dem Lustprinzip. Die Darstellung des Obszönen in Bellmers Werk ist als seine Auflehnung gegen gesellschaftliche Zwänge, Rationalität und Zeitmoral zu verstehen. Sein künstlerischer Einfluß ist besonders bei Paul Wunderlich und Horst Janssen spürbar.
* Peter Gorsen: Jenseits der Anatomie. Marionette und Übermensch im Werk von Hans Bellmer und Heinrich von Kleist. In: Heilbronner Kleist-Blätter 14 (2003). S. 123-142, hier S. 131.
Heinrich von Kleist: Die Marquise von O. auf Japanisch
Das Kleist-Archiv Sembdner enthält neben Erstausgaben und vielen anderen Rezeptionszeugnissen auch Übersetzungen der Werke Kleists. Recht früh wurden Kleists Werke in andere Sprachen übersetzt, so in den 1830er Jahren ins Italienische, ins Französische (die berühmte Kulturvermittlerin Madame de Stäel schreibt angeregt durch Kleists Selbstmord etwa eine „Abhandlung über den Suizid“). In England wird Kleist relativ spät rezipiert, was auch auf die Ablehnung durch den damaligen englischen Literatur-Giganten Samuel Taylor Coleridge zurückzuführen ist. Erst in der Mitte des Jahrhunderts gibt es die ersten Übersetzungen von Kleists „Michael Kohlhaas“. Ab den 1890er Jahren wird Kleist auch ins Russische übersetzt – vergleichsweise spät, wenn man an die rege wechselseitige Beeinflussung von russischer und deutscher Literatur im 19. Jahrhundert und frühen 20. Jahrhundert denkt. Interessant ist die Rezeption Kleists in Japan. Erste Übersetzungen erscheinen hier am Ende des 19. Jahrhunderts, Kleist ist ab der Jahrhundertwende aber bereits Teil des Rezeptionskanons. Dort spielte die Rezeption Kleists (in Übersetzungen und Adaptionen im Theater) eine nicht unbedeutende Rolle in der Ausbildung der japanischen Literatursprache, die bis dahin stark vom Chinesischen beeinflusst war.
So sind neben Übersetzungen auch in niederländischer, polnischer, dänischer, griechischer oder türkischer Sprache auch diverse Ausgaben von Kleist-Werken in Japanischer Sprache Teil des Kleist-Archivs Sembdner und ein Beleg dafür, dass Kleist im wahrsten Sinne des Wortes „Weltliteratur“ geworden ist.
Einen einführenden Überblick gibt das „Kleist-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung.“ Hrsg. v. Ingo Breuer. Stuttgart 2013.
April
April: 2. Auflage des „Amphitryon“ (1818) von Heinrich von Kleist
2022 jährt sich zum 400. Mal der Geburtstag des französischen Dichters und Schauspielers Jean-Baptiste Poquelin alias Molière, der als Komödiendichter in die Weltliteratur eingegangen ist. Eins seiner komischsten Stücke, das auf die Tragikomödie Amphitruo von Plautus zurückgehende Stück „Amphitryon“, war wiederum die Vorlage für Heinrich von Kleist, der seinen „Amphitryon“ im Jahr 1803 in Dresden schrieb und 1807 im Druck veröffentlichte. Das zunächst als reine Übersetzung von Molières Stück geplante Schauspiel nahm schon bald eine eigene Richtung und Kleist gab der Handlung einen tragischen Unterton. Die Identitätskrise Amphitryons ist bei Molière in dieser Form nicht angelegt und ist der Fokus des selbst immer nach Identität und Zugehörigkeit ringenden Kleist.
Nachdem Kleist das Stück im Jahr 1803 geschrieben hatte, dauerte es weitere vier Jahre, bis er mit seinem Freund und späteren Mitherausgeber der Zeitschrift „Phöbus“, Adam Müller, einen Verleger fand, der das Buch 1807 in der Arnoldischen Buchhandlung in Dresden publizierte. Elf Jahre später erschien eine neue „wohlfeilere“ Ausgabe der Tragikomödie im selben Verlag, erneut herausgegeben von dem mittlerweile dem Metternich’schen Stab als österreichischer Generalkonsul angehörenden Adam Müller.
Unter anderem diese Ausgabe ist Bestand des Kleist-Archivs Sembdner und unser Objekt des Monats.
Kleist selbst erlebte keine Aufführung des „Amphitryon“, da das Schauspiel erst im Jahr 1899 im Neuen Theater in Berlin uraufgeführt wurde. Bis heute erfreuen sich Inszenierungen sowohl von Molières als auch von Kleists Bearbeitung des Amphitryon-Stoffes großer Beliebtheit. Zuletzt auch im Theater Heilbronn, wo die Teilnehmer der Literaturhaus-Tagung „Seit ein Gespräch wir sind – Friedrich Hölderlin und Heinrich von Kleist im Dialog“ in den Genuss einer Inszenierung kamen. Kleists „Amphitryon“ wird auch in dem in Vorbereitung befindlichen Tagungsband eine Rolle spielen, u.a. in einer Lektüre von Justus Fetscher. Von diesem wiederum stammt ein Forschungsüberblick im Sammelband „Neue Wege der Forschung“, hrsg. von Inka Kording und Anton Philipp Knittel, Darmstadt:WBG, 2. Aufl. 2009.
März: Kaltnadelradierungen von Rolf Kuhrt zu „Das Käthchen von Heilbronn“
In diesem Monat zeigen wir ein Stück Kleist-Rezeption. Der in der ehemaligen DDR geborene Künstler Rolf Kuhrt hat in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren einen Zyklus von zehn Kaltnadelradierungen und einem Farbholzschnitt zu Kleists Stück „Das Käthchen von Heilbronn“ angefertigt, die heute im Kleist-Archiv Sembdner archiviert sind.
Rolf Kuhrt wurde 1936 in Bergzow im Kreis Genthin geboren. 1950 begann er eine Lehre als Chemiewerker im Waschmittelwerk Genthin, brach sie ab und begann eine Lehre als Schrift- und Plakatmaler in der Werbeabteilung des gleichen Betriebes. Es folgte eine Ausbildung an der Fachschule für angewandte Kunst Magdeburg und von 1956-1962 ein Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Zu seinen Lehrern zählte unter anderem Bernhard Heisig. Kuhrt war seit 1962 Mitglied im Verband bildender Künstler der DDR bis zu dessen Auflösung, zeitweilig war er auch Vorsitzender des Bezirksverbandes Leipzig des Verbandes Bildender Künstler der DDR. An der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig hatte er eine Dozentur inne, von 1987 bis 1993 war er dort Leiter des Fachbereichs Malerei und Grafik.
Rolf Kuhrt schreibt zu seinem Zyklus:
Die Grafiken, die zum Teil ungewöhnliche Titel haben wie „Das unartige Käthchen“ oder „Des Kaisers überraschende Entdeckung“, sind oftmals keine Illustrationen im eigentlichen Sinne, sondern eine Art von Bildcollagen aus den verschiedensten Elementen des Dramas. So sehen wir auf dem Farbholzschnitt „Unter dem Holunderbusch“ über dem schlafenden Käthchen nicht den lauschenden Grafen, sondern aufgereiht die Protagonisten des Stückes, teils zu ihr niederschauend, teils an ihr vorbei. Nur wenige kaum erkennbare vegetabilische Formen deuten vielleicht den Holunderbusch an.
- Rolf Kuhrt
Die Bilder sind aktuell noch bis Anfang April 2022 in der VHS Heilbronn im Deutschhof in der Galerie im Untergeschoss ausgestellt. Einen Teil der Bilder finden Sie aber auch hier auf unserer Homepage.

„Unter dem Holunderbusch“, 1979 Der Graf Wetter vom Strahl findet das Käthchen unter einem Holunderbusch schlafend. Rechts daneben Kunigunde zwiegesichtig.

„Käthchens Traum und Fenstersturz“, 1980 Rechts im Hintergrund der Graf zu Pferde mit Schild, aus dem Fenster winkt eine Frau mit dem Taschentuch. Links schwebt Käthchen geradezu aus dem Fenster. Vorn rechts Käthchen schlafend, links davon drei große Köpfe.
Autograph Heinrich von Kleists – Brief an den Verleger Eduard Hitzig am 2. Oktober 1810.
Das erste Objekt des Monats ist zugleich das wertvollste Stück des Kleist-Archivs Sembdner. Handschriften sind immer eine Rarität. Umso eindrucksvoller sind Autographen eines so einzigartigen Dichters wie Heinrich von Kleist (1777 – 1810). Die Stadt Heilbronn erwarb im September 1993 das schon länger bekannte, allerdings als verschollen geltende Briefzeugnis Kleists an seinen Berliner Verleger Julius Eduard Hitzig (1780 – 1849).
Der Brieftext lautet wie folgt:
Ich habe schon längst gebeten, dem Kriegsrath Peguilhen ein Exemplar des Abendblatts zu besorgen; sein Sie doch so gefällig, und richten diese Sache ein.
d. 2. Oct. 1810.
Hv.Kleist
Eher unfreundlich weist Kleist den Verleger seiner am Tag zuvor erschienenen Berliner Abendblätter – der ersten Tageszeitung Berlins – auf die versäumte Zusendung eines Exemplars an Christoph Ernst Friedrich Peguilhen (1769 – 1845) hin. Kleist hatte den Kriegsrat zwei Jahre zuvor im Haus der Henriette Vogel kennengelernt. Peguilhen war später auch der Testamentsvollstrecker sowohl von Kleist als auch von Vogel. Eduard Hitzig wiederum war in den damaligen literarischen Kreisen Berlins eine wichtige Figur und verlegte etwa E.TA. Hoffmann, Friedrich de la Motte-Fouqué oder Zacharias Werner. Auch sind von ihm Biographien bedeutender Berliner Literaten publiziert worden. Kleist, Hitzig und Peguilhen wohnten recht nah beisammen um den Berliner Gendarmenmarkt.
Das Projekt der Berliner Abendblätter, erschienen vom 1. Oktober 1810 bis zum 30. März 1811, scheiterte nach einem halben Jahr aus verschiedenen Gründen. Neben Anekdoten und kurzen Erzählungen Kleists (u.a. Über das Marionettentheater) sind in den Berliner Abendblättern vor allem lokale Meldungen, Rezensionen, Diskussionsbeiträge und (die besonders beliebten) Polizeiberichte abgedruckt. Beiträge kamen auch von Achim von Arnim, Clemens Brentano, Wilhelm Grimm, Friedrich de la Motte Fouqué, Adam Müller und Friedrich Schleiermacher. Kleist bearbeitete in der Regel die eingesandten Texte, was teilweise zu Unmut der Beiträger führte. Die Berliner Abendblätter und dazugehörend der Brief Kleists an Hitzig sind Teil eines wichtigen Projekts im letzten Lebensabschnitt des früh verstorbenen Dichters.
Literatur:
Heinrich von Kleist: Sämtliche Werke und Briefe, hrsg. von Ilse-Marie Barth, Klaus Müller-Salget, Stefan Ormanns und Hinrich C. Seeba, 4 Bde, Frankfurt am Main 1987–1997.
Günter Blamberger: Heinrich von Kleist. Biographie, Frankfurt am Main 2011. (Englisch 2021 bei Brill).
Helmut Sembdner: Assessor Hitzig, Kriegsrat Peguilhen und Heinrich von Kleist. Eine Berliner Episode, Heilbronn 1994.